Yin ist in!

„Gemütlich auf der Yogamatte lümmeln“? Oder passiv in der Asana (der Yoga-Position) über einen Zeitraum von drei bis fünf Minuten verweilen, das scheint seit einiger Zeit immer beliebter zu werden. Stretchen und Atmen und damit die Faszien, das Lymphsystem und unseren ganzen Körper in Wallungen oder zur Entspannung zu bringen. Das klingt relaxed und easy. Ist es das wirklich?

In meinem Yin-Yoga Klassen geht es zeitweise laut einher. Stöhnend bewegt sich Heike von der rechten Seite „Liegender Twist“ auf die Linke. Christoph lässt sich mit einem lauten Seufzer von der „Sphinx“ auf den Boden gleiten. Auf dem Weg zum „Sattel“ werden Kissen und Decken gerückt, ich bin busy mit Hilfestellungen geben. Der Anfang jeder Asana häufig noch untermalt von leichtem ächzen, doch nach einer Weile kehrt Ruhe ein. Jeder genießt den „golden pain“, oder ganz einfach, den Stretch.

Doch bei Einem sind sich Alle einig: das schönste Gefühl kehrt ein, wenn du nach den Positionen einfach auf dem Rücken liegst. Du merkst, wie das Blut oder auch Qi (die Lebensenergie – auch Prana genannt) durch den Körper fliest und dieses sich für dich in deinem Körper wunderbar anfühlt.

Yin und Yang

Yin, Yang, Qi. Aus der chinesischen Philosophie und der Traditionellen Chinesischen Medizin kommend, geht es in unserem ganzen Leben und bei Allem was um uns herum geschieht um Gegensätzliches, der Balance und dem Ausgleich dazwischen um die Energie fließen zu lassen und gesund zu bleiben.

So wissen wir zum Beispiel durch das Licht, was Dunkelheit bedeutet. Oder durch Kälte, wie sich Wärme anfühlt. Und genau wie in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) geht es auch im Ayurveda darum in Balance mit sich uns seiner Umwelt zu Leben. So zum Beispiel das leichte und unbeständige Vata-Dosha, welches mit Erdung und Wärme ausgeglichen werden kann oder das feurige Pitta, dem Frische und Natur helfen sich in seiner Mitte einzupendeln.

Yang-Lebensstil, mit viel Vata und Pitta unterwegs

Unser modernes Leben ist geprägt von Leistung und Zielen. Immer in Bewegung: Körperlich und geistig aktiv – wach sein. Kommunikation, Interaktion, Anpassung und Durchsetzungsvermögen im Dauerzustand?

Wir sind geprägt vom aktiven Yang und den Doshas Vata und Pitta. Zum Ausgleich sehnen wir uns nach Balance, Ruhe und Geborgenheit.

Doch wie kommen wir, kommt jeder Einzelne, in die Balance? Ist Passivität oder Ruhe, Yin, tatsächlich die Lösung für alle Gestressten? Die Antwort lautet klar: „j-ein“. Ayurveda, TCM und wer auch immer sich mit dem individuellen Menschen beschäftigt, weiß, dass es keine langfristig, befriedigenden Standard-Lösungen oder Blaupausen gibt, die für Jeden gleich wirken. Doch auch für aktive und sportliche Menschen ist es wichtig, dem Körper eine Pause zu gönnen.

„Nach einem anstrengenden Arbeitstag möchte ich mich auch gerne körperlich, z.B. im Fitness-Studio oder beim Laufen auspowern, das tut mir gut.“, sagt mir José als wir uns nach einer Yin-Yoga Stunde unterhalten. Zum Yin-Yoga ist er eigentlich durch seine Frau gekommen und genießt es jetzt damit seinen durchtrainierten Körper zu stretchen. Dass neben einem relaxtem Körper auch sein Geist nach der Yogastunde glücklich, entspannt und zufrieden nach Hause geht, ist für ihn ein toller Nebeneffekt, den er nicht mehr missen möchte.

Egal ob du ein bewegtes, arbeitsreiches Leben lebst, Stress hast und/oder aktiv Sport machst, dein Körper braucht und verlangt nach einem Gegenpol: Yin.

„Was genau passiert mit mir, wenn ich Yin-Yoga praktiziere?“

Während wir im dynamischen Yoga (zum Beispiel dem Sonnengruß) unsere Muskeln und Kraft spielen lassen, geht es beim Yin genau darum diese nicht einzusetzen. Yin Yoga üben wir statisch, in dem wir mehrere Minuten in der Asana verweilen und mit Kompression und Zug auf unser Bindegewebe, die Faszien, einwirken. Denn erst nach etwa 90 Sekunden reagiert die kollagene Faser, die entscheidend für den Dehneffekt verantwortlich ist, und macht sich wirklich locker. Bei einem Verweilen von bis zu 5 Minuten in der Asana können somit die Faszien wunderbar stimuliert und gedehnt werden.

Dieser Druck oder die Spannung, die wir während dem Halten der Position erfahren, bringt uns in dem Moment den ein oder anderen Seufzer und erst einmal nichts zum Fließen. Es kann sich etwas unschön anfühlen und uns zum Ächzen bringen oder sogar wütend machen. Deshalb ist es auch während der Praxis besonders wichtig, dass wir tatsächlich nur unser Bindegewebe unter Druck setzen, was wir gut anhand eines „Stretchschmerzes“ wahrnehmen können. Muskeln und Knochen sind tabu.

Lösen wir jedoch die Spannung auf, wird die von uns selbst herbei geführte Blockade freigegeben und wir können einen Energieschwall (ähnlich wie bei einem Staudamm) spüren. Es kribbelt oder wir spüren Wärme an den entsprechendes Stellen. Unser Körper aber auch Geist werden entspannter. Durch die Energiebahnen, Meridiane, kann Qi entsprechend positive Impulse an das entsprechende Organ geben.

Was haben Faszien mit Stress zu tun?

Faszien wurden, obwohl sie unseren Körper in Form eines mal mehr rund mal weniger straffen und elastischen Netzes, von Kopf bis Fuß zusammenhalten, sehr lange unterschätzt. Erst in den letzten Jahren wurde dieses Geflecht auch in der klassichen Medizin mehr in den ganzheitlichen Fokus gerückt.

Als Bindegewebe, Sehnen oder Bänder, haben wir traditionell eher den Bezug. Faszien-Schichten, die unser Herz, die Lunge oder andere Organe umweben oder unseren ganzen Körper vernetzen und stützen kennen wir. Doch auch mit Blick auf die Biodynamik des Körpers, seiner Regulierung und Wahrnehmung sowie im Rahmen des Blut- und Lymphflusses spielen Faszien eine aktive Rolle für dich und deinen Körper.

Hast du vielleicht auch bei dir schon einmal festgestellt, dass sich dein Körper in Stress-Phasen steifer und schmerzhafter anfühlt – vor allem der Rücken? Faszien!

Ein so komplexes und interessantes Thema. Pragmatisch erklärt: Deine Faszien sind eng verbunden mit dem sympathischen Nervensystem (das arbeitet verstärkt bei Leistungsdruck). Haben wir Stress spannen sich deshalb auch unsere Faszien (speziell die Myofibrolasten) an. Nimmt der Stress kein Ende und wir haben Dauerstress oder sind nicht in der Lage uns zu entspannen, wird aus der Faszien-Anspannung eine Muskel-Verspannung. Und um dem noch eines oben drauf zu setzen: Haben wir diesen anhaltenden Schmerz, die Verspannung von Muskeln und Faszien, ist natürlich auch wieder unser Nervensystem gestresst und kann sich nicht entspannen. Ein unschöner Kreislauf, der als Dauerzustand nicht nur Auswirkungen auf deine physiologischen Bewegungsabläufe hat, sondern auch dein Verletzungsrisiko steigert und sogar das Immunsystem (in den Lymphen befinden sich unsere Immunzellen) negativ beeinflussen kann.

Akkupunktur beim Yin Yoga – oder was spielen die Meridiane für eine Rolle?

Wenn ich hier jetzt schreibe, dass Yin-Yoga Akkupunktur ersetzt, dann nimmt mein Doktor bei der nächsten Akkupunktur für mich eine extra große Nadel 😉

Was Beide jedoch eint, ist das Prinzip und ihre Wirkung auf die Meridiane: Die Traditionelle Chinesischen Medizin nennt die Energiebahnen Meridiane. Sind diese Bahnen blockiert, so kann die Energie, Qi (oder im Ayurveda Prana) nicht fließen. Die Meridiane spannen sich wie ein Netz in unserem ganzen Körper und versorgen diesen und unsere Organe. Doch das Wirksystem ist viel komplexer und so können wir beispielsweise den Lebermeridian stimulieren, der unter anderem an der Innenseite unserer Schenkel und Waden verläuft, indem wir uns im Grätschsitz leicht nach vorne beugen und uns am „golden pain“ in der Innenseite der Oberschenkel „erfreuen“. Rein physisch können wir damit z.B. den Stoffwechsel oder die Menstruation regeln. Doch die Leber kann noch mehr: Auf psychischer Ebene können wir Themen wie Gemütsschwankungen, Zorn, Frustration oder Orientierungslosigkeit angehen.

Regelmäßiges Yin Yoga, bei dem die Meridiane stimuliert werden, ersetzt zwar nicht den Besuch beim Arzt oder Heilpraktiker aber es kann unterstützend bei konkreten Krankheitssymptomen oder präventiv zum Vorbeugen eingesetzt werden.

Yin Yoga als Anti-Stress Methode, gegen verklebte Faszien und zur Prävention

So liegt es auf der Hand, dass man einerseits durch die ruhigen, statischen und meditativen Yin Yoga Asanas in die Ruhe kommt und sich die Zeit nehmen kann auch über eine tiefe und entspannte Atmung Körper und Geist zu verbinden. Für mich persönlich hat Yin Yoga auch immer einen meditativen Effekt bei dem ich lerne meine Gedanken los zu lassen.

Andererseits wird durch die Stimulation der Faszien und der Meridiane nicht nur Energie (Qi oder Prana) durch den Körper geleitet, sondern machen ihn (und den Geist) auch entspannter. Die Übungen massieren die Organe, versorgen sie mit dem notwendigen Qi, fördern den Stoffwechsel und unsere natürliche Entgiftung und haben grundsätzlich einen großen Einfluss auf unsere körperliche und geistige Gesundheit.

Coaching Kompass
Möchtest auch du deinen eigenen „Yin-Yang-Yoga-Weg“ finden oder mit einem ganzheitlichen und integrativen Coaching dein Leben verändern?