Wenn das vertraute ich brüchig wird
In der Lebensmitte spüren viele Frauen, dass sie sich verändern – manchmal leise, manchmal mit Wucht.
Was früher selbstverständlich war, fühlt sich plötzlich eng an. Die ein oder andere Rolle, in der man jahrelang sicher war – Mutter, Partnerin, Ehefrau, Kollegin, Führungskraft – beginnt auf einmal zu wackeln.
Psychologen sprechen hier von einer „Identitätsneuausrichtung“. Laut einer Studie der Universität Leipzig (2023) erleben über die Hälfte der Frauen zwischen 40 und 55 einen deutlichen Wandel ihres Selbstverständnisses – begleitet von der Frage: Wer bin ich, wenn die äußeren Rollen sich verschieben?
Wenn alte Rollen nicht mehr tragen
Letzte Woche habe ich meine Tochter in den ersten Tagen in ihrem neuen Zuhause in Amsterdam begleitet. Sie ist 18 und hat ihr Studium begonnen. Gemeinsam haben wir ihr Zimmer eingerichtet, Ikea „besucht“, ein Fahrrad gemietet, sie bei der Stadt angemeldet. Dann kam der Moment des Abschieds – ich fuhr nach Hause, und sie blieb.
Ein stiller, intensiver Moment. Das Nest bleibt, aber der Vogel fliegt. Am Tag bevor wir nach Amsterdam gefahren sind, habe ich geweint, weil mir bewusst wurde, was dieser Schritt bedeutet. Und gleichzeitig bin ich stolz auf meine „MiniMe“ über diesen mutigen Schritt. Ich selbst spüre die Veränderung, auch wenn es sich heute eher noch nach „sie ist im Urlaub“ anfühlt. Trotzdem: Ich falle nicht in ein Loch.
Vielleicht ist da kein Loch, weil ich nie aufgehört habe, auch mein eigenes Leben zu führen.
Ich bin und war (und werde immer sein) Mutter mit ganzem Herzen – aber nie ausschließlich. Ich habe gearbeitet, Pausen gemacht, mir Freiräume genommen. Manchmal wurde das kritisiert, als sei Eigenständigkeit Egoismus. Heute bin ich froh darüber. Denn jetzt, wo meine Tochter ihren Weg geht, bleibe ich selbst im Gleichgewicht.
Die Lebensmitte zeigt vielen Frauen, wie wichtig es ist, das eigene Selbstbild nicht nur über Fürsorge oder Funktion zu definieren. Es geht nicht darum, weniger Mutter, Partnerin oder Kollegin zu sein – sondern anders: bewusster, klarer, mit Raum für sich selbst.
Spiegelbilder – was Haare über unser Selbstbild erzählen
Unser Selbstbild zeigt sich immer zuerst an der Oberfläche, von außen und dann im Inneren. Oberflächig? Nein, sichtbar: Kleidung, Haltung, Haare – all das erzählt etwas über uns.
Gerade in der Lebensmitte spüren viele Frauen den Wunsch, sich auch äußerlich zu verändern – manchmal, um jung zu bleiben oder jünger zu wirken, aber nicht immer sondern auch um sich stimmiger zu fühlen.
Ich habe mich darüber mit Marc Motsch, Naturfriseur und Experte für achtsame Haarpflege, ausgetauscht. Für ihn sind Haare mehr als Styling – sie sind Ausdruck von Identität, Wandel und Selbstwahrnehmung.
Frage: Viele Frauen verändern in der Lebensmitte nicht nur ihr Denken, sondern auch ihr Aussehen. Was bedeutet Schönheit in dieser Lebensphase für dich?
Marc Motsch: Schönheit ist immer relativ. Für mich geht es nicht um ein bestimmtes Ideal, sondern darum, dass das äußere Erscheinungsbild zur Frau passt und sie sich damit wohlfühlt. Ob die Haare grau bleiben oder gefärbt werden, ist zweitrangig – entscheidend ist, dass es stimmig ist.
Das Thema Weiblichkeit bewegt mich sehr. Ich erlebe, dass sie in unserer Gesellschaft oft unter Druck gerät. Es wird viel von Frauen erwartet, und gleichzeitig fällt es schwer, sich davon abzugrenzen. Besonders in Führungspositionen ist der Spielraum eng: Eine Kundin, die in einer Bank arbeitet, erzählte mir, dass lange blonde Locken oder verspielte Kleidung für sie tabu sind. Sie trägt die Haare streng zurückgebunden, der Hosenanzug ist Pflicht. Ich finde das schade, weil Weiblichkeit und Professionalität sich nicht ausschließen.
Wenn ich Frauen in südlichen Ländern sehe, fällt mir auf: Dort dürfen Frauen auch im Beruf noch „Frau sein“. Lange Haare, Kleider, Mode – ein anderes Selbstverständnis. Hier bei uns ist das oft schwieriger.
Frage: Erleben Frauen bei dir Momente, in denen sie sich selbst wieder anders sehen?
Marc Motsch: Ja, sehr oft. Viele meiner Kundinnen stehen im Leben – beruflich und privat – stark, verlässlich, kontrolliert. Sie haben gelernt, zu funktionieren. Im Salon erlebe ich, dass über die Arbeit am Haar wieder etwas Weicheres entsteht. Ein Zugang zu ihrer Weiblichkeit, der nichts mit Schwäche zu tun hat.
Haare sind dafür ein guter Spiegel. Ich sage oft: „Haare sind der Spiegel der eigenen Mitte.“
Über die Jahre habe ich gelernt, aus den Haaren zu lesen – über Struktur, Glanz, Dichte. Man sieht, was eine Frau erlebt, hat: Stress, Krankheit, emotionale Belastung. Am Ansatz ist das Haar oft gesund, weiter unten wird es brüchiger. Das erzählt eine Geschichte. Ich habe das auch bei Kundinnen gesehen – etwa nach Zeiten großer Anstrengung, Blutspenden oder Covid-Infektionen. Der Körper spricht, auch über die Haare.
„Haare sind der Spiegel der eigenen Mitte.“
— Marc Motsch, Naturfriseur
Dieser Austausch hat mich berührt, weil es zeigt, wie eng Weiblichkeit, Selbstbild und Selbstfürsorge miteinander verbunden sind.
Ich beobachte in meinen Coachings dasselbe Muster: Frauen, die gelernt haben, stark zu sein, verlieren oft den Kontakt zu ihrer weicheren, intuitiven Seite. Dabei ist genau diese Seite eine Kraftquelle – keine Schwäche.
Weiblichkeit in der Lebensmitte bedeutet für mich nicht, ein bestimmtes Bild zu erfüllen, sondern die eigene Balance wiederzufinden.
„Stärke und Sanftheit schließen sich nicht aus. Sie gehören zusammen – wie innen und außen.“
— Ariane Hotzel
Coaching als Spiegel für das eigene Selbstbild
Im Coaching geht es genau darum – die inneren Bilder zu prüfen, die wir über uns tragen. Viele Frauen stellen fest, dass sie über Jahre Erwartungen erfüllt haben, die längst nicht mehr zu ihnen passen.
Systemisches Coaching bietet hier keinen Plan, sondern einen Spiegel. Es hilft, den Blick zu weiten:
- Welche Rollen trage ich noch, obwohl sie mir längst zu eng sind?
- Was ist mein Beitrag, was ist Konditionierung?
- Welche Seite von mir möchte wieder mehr Platz bekommen?
Mini-Übung – Dein Selbstbild auf dem Prüfstand
Schreib deinen Namen in die Mitte eines Blatts.
Darum herum alle Rollen, die du aktuell lebst – privat und beruflich.
Dann markiere intuitiv:
- Was fühlt sich leicht an?
- Was eng oder überholt?
- Was fehlt ganz?
Diese einfache Übung zeigt, wo dein Selbstbild noch stimmt – und wo du dich über die Jahre verloren hast.
Impuls zur Selbstführung
Stell dir am Ende des Tages eine Frage:
War ich heute so, wie ich wirklich bin – oder so, wie andere mich brauchen?
Wenn du dir diese Frage regelmäßig stellst, wird sich etwas verändern in dir.
Nicht laut, sondern still – von innen heraus.
Fazit – Selbstbild als Kompass der Lebensmitte
Die Lebensmitte ist kein Bruch, sondern eine Klärung.
Wenn du dein Selbstbild bewusst hinterfragst, erkennst du, was bleiben darf – und was sich wandeln will. Coaching kann diesen Prozess begleiten, damit du dich selbst wieder stimmig erlebst.
Ausblick
Im nächsten Artikel geht es um „Energie neu denken – Stress, Wechseljahre und Resilienz ab 40“: wie Frauen ihre Kraftquellen wiederfinden, ohne den Anspruch, immer stark sein zu müssen.
Kennst du schon den vorherigen Artikel aus der «Lebensmitte-Reihe»?
«Ist das schon alles?» – Die stille Frage in der Lebensmitte.
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