Wenn die Tage voll und der Kopf müde wird
«Schon wieder steht Weihnachten vor der Tür.» – Für viele Frauen ist das kein Start in eine stille Zeit, sondern in die dichteste Phase des Jahres: Termine, Jahresabschluss im Job, Familienorganisation, Geschenke, Erwartungen. Nach außen sieht es nach Lichterglanz aus – innen fühlt es sich oft nach Dauerlauf an.
Und ehrlich: Dieses Gefühl gehört nicht nur zur Vorweihnachtszeit. Es zeigt sich auch im März, im Juni, im ganz normalen Alltag. Viele Frauen ab 40 beschreiben etwas Ähnliches: Das Leben ist voll, vieles funktioniert, aber die eigene Energie ist dünner geworden (Artikel: Energie Neu Denken). Man schafft noch vieles – aber der Preis wird spürbarer.
Die Lebensmitte bringt nicht nur andere Aufgaben, sondern auch einen Körper und ein Nervensystem, die anders reagieren als mit 30. Genau hier beginnt das Thema innere Balance – nicht als Projekt, sondern als tägliche Praxis.
Viele Frauen, die ich berate oder coache sind Führungskräfte oder tragen Verantwortung im Unternehmen – fachlich, disziplinarisch oder als Projektsteuernde. Nach außen sollen sie Orientierung geben, Entscheidungen treffen, Sicherheit ausstrahlen. Innen sieht es oft anders aus: Die eigene Energie wird dünner, der Schlaf ist unruhiger, der Kopf voll.
Dieses Spannungsfeld zwischen „funktionieren müssen“ und „eigene Grenzen spüren“ macht die Lebensmitte für Frauen in Führungsrollen besonders herausfordernd. Innere Balance wird damit nicht zur Kür, sondern zur Voraussetzung, um überhaupt gut führen zu können – andere und sich selbst.
Was sich in der Lebensmitte verändert
Zwischen 40 und 60 passiert viel, ohne dass Frau es von außen oder im Spiegel sofort sieht. (Artikel: «Selbstbild in der Lebensmitte») Hormone verschieben sich, der Stoffwechsel arbeitet anders, der Schlaf reagiert empfindlicher. Viele Frauen berichten von plötzlicher Erschöpfung, unruhigen Nächten, mehr Anfälligkeit für Infekte, einem Kopf, der nicht mehr so klar ist wie früher. Irgendwie baut alles ab aber die To-do-Listen sind gleich lang geblieben.
Medizin und Longevity-Forschung sind sich einig: In diesen Jahren wird mitentschieden, wie wir altern – körperlich und mental. Es geht nicht nur darum, „jung zu bleiben“, sondern darum, wie stabil, klar und widerstandsfähig wir in die nächsten Jahrzehnte gehen.
Innere Balance ist kein Wellness-Begriff. Sie ist die Frage: Wie gehe ich mit meiner Energie so um, dass sie nicht nur gerade eben reicht, sondern mich langfristig trägt?
Perfektionismus – und die stille Erschöpfung dahinter
Viele Frauen würden sich selbst nicht als perfektionistisch bezeichnen. Trotzdem höre ich häufig Sätze wie:
„Ich will es für alle schön haben.“
„Wenn ich es nicht mache, macht es niemand.“
„Ich will niemanden enttäuschen.“
Dahinter steckt oft ein hoher Anspruch an sich selbst – nicht unbedingt sichtbar, aber spürbar im Körper: durch Anspannung, Unruhe, Schlafprobleme, Kurzatmigkeit, das Gefühl, innerlich nie wirklich anzukommen.
Gerade in Phasen wie der Vorweihnachtszeit zeigt sich das deutlich. Noch ein Treffen, noch eine Aufgabe, noch ein Detail. Und die eigenen Bedürfnisse rutschen nach hinten.
Ein Einstieg in innere Balance kann überraschend schlicht sein: sich ehrlich zu fragen,
„Was darf in diesem Jahr bewusst einfacher sein?“
Vielleicht ist es eine Sorte Plätzchen weniger, ein Abend ohne Verpflichtung, ein Weihnachtsmenü, das weniger perfekt und dafür entspannter ist. Nicht, weil dir alles egal ist. Sondern, weil du deine Gesundheit und dein Nervensystem ernst nimmst.
Schlaf, Pausen und das, was im Hintergrund arbeitet
Schlaf ist einer der unterschätzten Faktoren, wenn es um Energie, Stabilität und gesundes Altern geht. Gerade in der Lebensmitte zeigt sich schnell: Wer dauerhaft zu wenig schläft oder schlecht schläft, zahlt an mehreren Stellen – mit Stimmung, Konzentration und Belastbarkeit.
Ein Punkt, der oft unterschätzt wird: die Uhrzeit der letzten Mahlzeit. Wenn wir spät abends noch essen oder snacken, ist die Verdauung im vollen Gange, während der Rest von uns schlafen will. Der Körper muss hinter den Kulissen arbeiten, statt sich zu erholen. Die Nacht wird leichter, der Schlaf unruhiger, das Aufwachen schwerer.
Umgekehrt berichten viele Frauen, dass sie tiefer schlafen und klarer aufwachen, wenn sie abends etwas früher essen und danach nichts mehr nehmen oder einfach mal «Dinner cancelling» praktizieren. Nicht als strenge Regel, sondern als Orientierung: Der Körper bekommt Zeit, „fertig zu werden“, bevor die Nacht beginnt.
Autophagie – wenn der Körper endlich aufräumen darf
Im Zusammenhang mit gesundem Altern fällt ein Begriff immer öfter: Autophagie. Dahinter steht ein einfacher Gedanke: Der Körper nutzt Phasen ohne Nahrungszufuhr, um alte oder beschädigte Zellbestandteile abzubauen und zu recyceln. Das entlastet den Organismus, unterstützt das Immunsystem und kann dazu beitragen, dass wir uns klarer und wacher fühlen.
Eine alltagstaugliche Möglichkeit, diesen Prozess zu unterstützen, ist Intervallfasten – zum Beispiel 14-16 Stunden Esspause über Nacht. Das muss keine strenge Diät sein und schon gar keine Selbstoptimierungs-Challenge. Es kann schlicht bedeuten:
Abendessen bis 18 Uhr.
Danach keine Kalorien mehr.
Am nächsten Morgen etwas später frühstücken. Getränke wie ungesüßter Tee oder Wasser oder auch ein schwarzer Kaffee sind ok.
Ich selbst habe es, genau wie viele andere, erlebt:
Der Kopf ist am Morgen freier, die Energie stabiler, das Immunsystem robuster. Und: Wenn der Magen nicht mehr voll ist, bevor wir ins Bett gehen, dankt es uns der Schlaf.
Wichtig ist jedoch, dass Intervallfasten nicht zu jeder Lebenssituation und nicht zu jeder gesundheitlichen Vorgeschichte passt. Wer Vorerkrankungen hat oder früher unter Essstörungen gelitten hat, sollte das nicht alleine ausprobieren, sondern ärztlich besprechen. Entscheidend ist weniger das perfekte Fenster als der Gedanke: Auch der Körper braucht echte Pausen, nicht nur der Kopf.
Innere Balance beginnt kleiner, als wir denken
Hasst du auch öfters Mal gute Vorsätze und möchtest dein ganzes Leben verändern? Bei Vielen kreist dieser Glaubenssatz a la «Klotzen statt Kleckern» im Kopf, wenn sie sich überlegen, wieder in eine gute Balance zu kommen. Das macht den ersten Schritt unnötig groß.
Aus meiner Erfahrung braucht es etwas anderes:
>>> Ein paar klare Entscheidungen zugunsten vom Schlaf
>>> Mehr Ehrlichkeit im Umgang mit dem eigenen Perfektionismus
>>> Einfache, wiederkehrende Routinen statt großer Vorsätze
>>> und die Erlaubnis, nicht alles möglich machen zu müssen
Eine Tasse heißes Wasser am Morgen, ein Abend in der Woche ohne Bildschirm, ein bewussteres Abendessen – das klingt nach wenig. Aber genau diese kleinen, wiederholten Gesten signalisieren dem Nervensystem: Es wird für dich gesorgt.
Eine kleine Einladung für die nächsten Tage
Vielleicht magst du dir für die kommende Woche eine der drei (oder alle drei) Dinge vornehmen – nicht zehn:
>>> Eine Uhrzeit (18? 19?), zu der du abends wirklich mit dem Essen fertig bist.
>>> Eine kleine Morgenroutine, die ohne Handy beginnt.
>>> Eine Sache, die du bewusst einfacher machst, obwohl dein innerer Anspruch gern mehr hätte.
Nicht perfekt, sondern ausprobierend.
Innere Balance ist kein Zustand, den man einmal erreicht und dann behält. Sie ist ein fortlaufendes Justieren – gerade in der Lebensmitte, in der der Körper, das Leben und die eigenen Prioritäten sich verändern.